Sonntag, 23. März 2014

ich wünsch' dir Liebe ohne Leiden

Wann ist man alt? Wenn man eine Lesebrille benötigt? Ab dem Tag, an dem man nicht mehr ohne Stöhngeräusche ein Klettergerüst erklimmen kann? Sobald man sich eingesteht, dass man früher alles besser fand? Klar, von allem ein bisschen irgendwie... aber so richtig richtig alt bist du, wenn du die Einladung zur Hochzeit deines Patenkindes in Händen hältst! Ich kann die Augen nicht mehr länger vor der Tatsache verschließen, einer Generation anzugehören, die irgendwo „auf halber Strecke zwischen Kuscheltuch und Rheumadecke“ (Ina Müller) lebt. Bevor dieses Event ins Haus stand, hab ich ja auch schon quasi „Mental-Botox“ betrieben und diverse kleine Fältchen bis mittelgroße Krater einfach wegignoriert. Ob das weiterhin funktionieren wird, nachdem ich nun direkt mit der unumstößlichen Tatsache um das Ausmaß meiner durchwanderten Lebensjahre konfrontiert worden bin, bleibt abzuwarten.

Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden, und eine Hand die deine hält....

Inzwischen liegt dieses Wahnsinnsevent hinter uns und ich bin noch vollkommen geflasht. Mein Mann und ich sind uns einig: Weniger ist manchmal mehr.
Es sollte die perfekte, vollkommene Hochzeit sein, was dazu führte dass sich einem der Eindruck eines komplett überladenen, künstlichen und gestellten Events aufdrängte.
Das einstündige Programm in der Kirche hätte auch jedem Promi zur Ehre gereicht. In meiner Paraderolle als alternde Tante hatte ich bereits nach 30 Minuten derart kalte Füße, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Gotteshaus ernsthaft betete – und zwar darum, möglichst noch vor Abschluss des Wochenendes diesen Ort lebend verlassen zu dürfen.
Auf jedem Sitzplatz lagen ein Taschentuch, ein Programmheft und ein kleines Seifenblasenfläschchen. Alles liebevoll beklebt mit dem (eigens entworfenen und mittlerweile urheberrechtlich geschützten) Brautpaar-Emblem und mit Sprüchen à la „Glück ist das einzige was sich verdoppelt wenn man es teilt“ versehen. Ungeachtet der Tatsache, dass sie offenbar das ganze letzte Jahr über mit den Vorbereitungen beschäftigt waren, ist man irgendwann echt genervt, weil man nun mal nicht ununterbrochen erstaunt, gerührt, überrascht und ergriffen sein kann. Vielleicht auch, weil es einfach nicht authentisch wirkte oder unbeschwert.

Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden, und dass dir nie die Hoffnung fehlt....

Und ein weiterer Eindruck drängte sich mir auf. Zuerst konnte ich ihn gar nicht genau in Worte fassen, wusste nicht, was mich stört oder irritiert. Mag sein, dass ich mir alt vorkam in dieser Gruppe junger Leute Anfang zwanzig, aber was sie da taten, wirkte auf mich so deplatziert. Müsste ich es in einem Satz zusammenfassen, würde ich sagen: Sie spielen erwachsen sein.
Sie (ver)kleiden sich übertrieben festlich, fachsimpeln über Lebenserfahrung und spielen Fernsehszenen nach ohne überzeugend zu wirken. Zuversicht ist etwas so schönes, und vielleicht wohnt ihr ja diese Portion Naivität inne, ohne die sie nicht existieren könnte.
Eine perfekte Hochzeitsfeier, leider eher ein Theaterstück ohne Unbeschwertheit. Mögen sie sich diese in ihrem 'richtigen Leben' bewahren!

und dass dir deine Träume bleiben.... 

von Herzen,
für dich,
deine Patentante. 

18 Kommentare:

  1. Es gibt halt seitens der Medien viel zu viel Input und eine damit verbundene Erwartungshaltung, die dafür sorgt, alles überziehen zu müssen. Auch ich kann mit so etwas nicht viel anfangen. Muß ich auch nicht.

    Zum zweiten Ansatz deines sehr schönen Textes: Sorgen um das Alter würde ich mir machen, wenn mir ein Kind oder Jugendlicher im Bus unaufgefordert seinen Platz anbietet. Es sei denn, es handelt sich um einen Pfadfinder. ;-)

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    1. würdest du dir auch Sorgen um dein 'Alter' machen, wenn ich dir verraten würde, dass genau dieses Problem mit Medien und Erwartungshaltung das erste war, was mein 83-jähriger Vater dazu gesagt hat ;-)

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  2. Leider kann ich den Text auf meinem iPod in meinem Bett nicht lesen und ich mag jetzt nicht mehr aufstehen, um den "großen" PC anzuwerfen. Was ich aber unbedingt loswerden muss ist, dass ich den ganzen Tag dieses Lied von Udo und Jenny J. im Ohr habe. Summen geht nicht - bin noch immer heiser.

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    1. ich bin ja schon erstaunt, dass mein Eintrag überhaupt den Weg durch deine Kabelsalat-Bar-Ecke gefunden und überlebt hat. Hast du erwartet, dass er nach dieser Achterbahnfahrt auch noch lesbar wäre?!?

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    2. Hier irren Merkwürden. Der Kabelsalat befindet sich natürlich nicht in meiner 100qm-Welt, sowas lasse ich nicht zu. Der aufmerksame Leser meines Blogs hat sicherlich bemerkt, dass der Sonnige Winkel nicht mit meiner kleinen Welt übereinstimmt. Deine Schriftschnörkel sind hier also glatt durchgegangen, und nachher werde ich sie auch lesen. Wenn ich mich heute überhaupt aufraffen kann, mein Krankenlager zu verlassen. Örks.

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    3. autsch, jetzt haste mich erwischt. Mal sehen wie ich mich da rausrede... ;-D

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    4. Oh, wird es hier jetzt Hemmungslos?

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    5. jupp, Hemmungen ham wa nich, sind heute aus, müssen Se was anderes nehmen, junger Mann!

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  3. auch wenn du's mir jetzt nicht glauben wirst... guckst du hier:
    https://www.dropbox.com/s/m6bjyehopv11wmo/IMG_4123%20%28FILEminimizer%29.JPG

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  4. Ich glaube, daß ich für uns alle spreche, wenn ich sage:

    Man muss uns einfach lieb haben. ;.-)

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  5. ja mei, hast des jetzt schee g'sagt!

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  6. Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb ;-) Kussi!!!

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  7. Wenn Menschen -besonders junge- unsicher sind, alles richtig machen-, der Fernsehwerbung glauben und möglichst ALLES in ihren besonderen Tag packen wollen, gerät es wohl so, wie du es beschreibst.
    Umso mehr hast du mit den Zeilen der beiden Jürgens' einige wenige, dafür sehr schöne Gedanken zu einem echten Brautstrauß geflochten!

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  8. Der Ansatz mit der Hochzeit als Weiterentwicklung der Kindergeburtstage gefällt mir - genau dieser Eindruck beschlich mich auch beim Durchlesen. Schlimm. Warum muss der besondere Tag gleichzeitig auch immer der perfekte Tag sein und warum wird der Kriterienkatalog immer üppiger?! Wünschen wir dem Brautpaar trotzdem das Beste! :-) LG; Mavie

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  9. Jetzt habe ich es gelesen und stimme Dir voll zu. Zu so einer Hochzeit waren wir auch schon eingeladen - alles perfekt, alles farblich abgestimmt, alles von sehr langer Hand vorbereitet - und total langweilig. Ohne Spontanität, man war nur Statist in einem Spektakel. Ich hoffe auch, dass diese Ehe hält, aber vielleicht bereiten sie auch da alles von sehr langer Hand vor. Schwanger ist die Braut jedenfalls noch nicht ;-)

    Und Ina Müller ist Klasse, gelle?

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    1. Jupp, Ina ist Pflicht :o)
      und jetzt weiß ich auch endlich, wie ich mich gefühlt habe, genau wie du sagst, als Statist, als Ergänzung dieser Show, in Erwartung meiner uneingeschränkten Bewunderung und Bestaunung des Events.

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